Die Reichstagswahl vom 14. September 1930 war für die verbliebenen Verfechter der Demokratie ein Schock. Die NSDAP hatte mehr als sechs Millionen Stimmen erhalten und war mit einem Zuwachs von fast 16 Prozent nun die zweitstärkste Partei hinter der SPD. Wie war es soweit gekommen?
Rückblick auf den Jahresbeginn: Nachdem die Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller, die aus SPD, Zentrum, DDP sowie DVP bestand, nach zweijähriger Regierungszeit – die längste Legislaturperiode in der Weimarer Republik, die letzte Koalition ohne Notverordnungsvollmachten des Reichspräsidenten – zerfallen war, hatte der Reichspräsident Paul von Hindenburg eine Minderheitenregierung ohne SPD-Beteiligung geduldet. Das Konstrukt hielt jedoch nur wenige Monate, bis sich der Reichstag im Sommer auflöste. Nur einige Tage danach stand das Konzept für den Wahlkampf der NSDAP fest, den erstmals Goebbels zentral organisierte.
Die Weltwirtschaftskrise und die nachfolgende Deflationspolitik von Brüning, dem „Hungerkanzler“, hatte die Verelendung breiter Bevölkerungsmassen nach sich gezogen. Dies machte es der NSDAP leichter, sich bei ihrem Publikum zu einzuschmeicheln und so wurde der Wahlkampf nach der Auflösung des Reichstags den ganzen Sommer bis zur Reichstagswahl im September unerbittlich geführt. Die Willigkeit der Menschen, sich mit der NSDAP zu verbünden, war spätestens mit dem Wahlergebnis vom September 1930 offensichtlich geworden. Noch 1928 hatte der NSDAP bei der vorangegangenen Reichstagswahl lediglich 2,6 Prozent der Stimmen erhalten, doch in einigen Landtagswahlen seit dem immer wieder deutliche Erfolge feiern können.
Unübersehbare Vorzeichen
Seit Anfang 1930 trug die NSDAP in Thüringen zur Regierungsbildung bei, 12 Prozent der Stimmen hatte man damals dort sammeln können. Wilhelm Frick wurde erster NSDAP-Minister in einem Landtag. Seine Regierungspraxis musste jedem eine Vorahnung auf die nationalsozialistischen Vorhaben geben: Die sozialdemokratischen Beamten versuchte die NSDAP aus dem Regierungsapparat zu entfernen, in der thüringischen Polizei sortierte man missliebige Beamten ebenfalls aus; dem Nazi-Ideologen Hans Günther verschaffte man einen Lehrstuhl für „Rassenfragen und Rassenkunde“ an der Universität Jena. Dazu kamen Verbote gegen kommunistische und sozialdemokratische Zeitungen.
Im April 1930 hatte die NSDAP bereits 130.000 Mitglieder, die sich in 5000 Ortsgruppen organisierten.
Dass nach der Wahl 1930 viele den baldigen Putsch der Nationalsozialisten fürchteten, ist daher nicht verwunderlich. Doch die NSDAP hatte inzwischen erkannt, dass man zur Macht gelangen könnte durch einen regulären Wahlsieg – und drohte nun ganz unumwunden:
Es ist gefragt worden: Werden Köpfe rollen? Und unsere Antwort lautet: Jawohl. Sie werden einmal ganz verfassungsmäßig und legal rollen.(…) Die Abrechnung wird durch einen ganz legalen Staatsgerichtshof erfolgen.
Durchhalte-Parolen von der SPD begleiteten den Wahlkampf im Spätsommer 1930. „Hitler ist Zwischenspiel, Schlussakt sind wir!“ äußerte sich der Wirtschaftspolitiker Erik Nölting, und weiter: „Lasst die Nazis nur weiter antikapitalistische Stimmungen heranbilden, wir werden sozialistische Gesinnung daraus machen.“ Die SPD warnte dennoch vor dem Faschismus, seit 1929 existierte zum Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit eine Werbeabteilung beim Berliner SPD-Parteivorstand; zusammen mit der KPD veranstaltete man Großkundgebungen, um die Bevölkerung über die faschistische Bedrohung aufzuklären. Doch der Lerneffekt aus der Wahl 1930, den die SPD zu sehen glaubte, trat bekanntermaßen nicht ein.
Auch die bürgerlichen Parteien versagten bei der Organisation gegen den Nationalsozialismus
Im Wahlkampf waren blutige Straßenkämpfe zwischen Anhängern der KPD und SA-Schergen Alltag auf deutschen Straßen. Im August 1930 rissen bei einem Aufmarsch der NSDAP einige hundert Männer die Deutschland-Fahnen – und damit das umkämpfte Symbol für die Republik – auf dem Berliner Schlossplatz herunter.
Gleichzeitig kam es bei der DNVP – der „Deutschen Nationalen Volkspartei“, die vom Medienmogul Alfred Hugenberg geleitet wurde – zu Parteispaltung. Die gemäßigte Konservative Volkspartei entstand. Die DVP – die „Deutsche Volkspartei“ – versuchte, angesichts all dieser parteiinternen Konflikte dennoch einen bürgerlichen Block zu bilden, um dem wachsenden Einfluss der NSDAP durch die gebündelten bürgerlichen Parteien noch etwas entgegensetzen zu können. Dass mit der NSDAP keine Koalition zu haben war, dass man sie nicht in eine parlamentarische Regierung integrieren konnte, musste lange jedem klar sein. So schreibt Goebbels in einem Leitartikel in der NS-Presse:
Man täusche sich im Lager der Mitte nicht über unsere Absichten: die nationalsozialistische Bewegung hat keineswegs den Ehrgeiz, sich vor den bürgerlichen Parteikarren spannen zu lassen. (…) Die nationalsozialistische Bewegung will eine Umwälzung des Bestehenden, und sie ist nicht gekommen, um Fallendes zu halten, sondern es noch zu stoßen.
Großkundgebungen in ganz Deutschland
Während Antisemitismus im Wahlkampf der NSDAP im Jahr 1930 ausgespart wurde, hetzte man gegen den Kapitalismus und den Kommunismus, schürte Ängste um den Zerfall Deutschlands, beschwor den Nationalismus, die „Mehrung der Kraft der Nation…die Befreiung des ganzen Volkes“, wie es Hitler versprach. Adolf Hitler ging auf Deutschland-Tournee, in diesem Sommer 1930 trat er bei etwa 20 Großkundgebungen als Redner auf. Goebbels: „Es darf bis zum 14. September keine Stadt, kein Dorf, keinen Flecken geben, wo wir Nationalsozialisten nicht durch eine große Versammlung in Erscheinung getreten sind.“
Wer wählte die NSDAP?
Tatsächlich erlebten viele Menschen Adolf Hitler live, insbesondere bei dessen Flügen durch Deutschland bei dem späteren Wahlkampf 1932. Der erlebnisorientierte Charakter dieser und ähnlicher Wahlveranstaltungen, das Gefühl der Vergemeinschaftung, das dort viele Menschen ergriff, erhöhte sicherlich die Bereitschaft, der NSDAP zu wählen.
1930 wählten insbesondere die Mittelschichten die NSDAP, doch die Partei konnte in jeder Bevölkerungsgruppe Überzeugte an sich binden: ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, ob gehobene Beamte oder kleinbürgerliche Angestellte, Bauern, Gewerbetreibende, Handwerker…diese Gruppen waren allesamt mehr oder weniger geneigt, die NSDAP zu wählen, da an ihre Existenzängste appelliert wurde. Auch konnte die NSDAP viele bisherige Nichtwähler von sich überzeugen. Bei Arbeitern gelang es, jene für sich zu gewinnen, die sich nicht traditionsweise mit der SPD oder KPD identifizierten; Erwerbslose wählten jedoch nicht überdurchschnittlich oft die NSDAP.
Brüning stand nach dem Wahlergebnis vom September 1930 eine schwere Aufgabe bevor. Der Reichskanzler regierte weiterhin durch eine von Hindenburg erlassene Notverordnung, hatte mit sozialdemokratischen Parteiführern wie Otto Wels oder Hermann Müller in vertraulichen Gesprächen das Einverständnis in die Tolerierung des Kabinetts erzielt. Denn gemäß Artikel 48 Absatz 3 der Reichsverfassung konnten die Notverordnungen des Reichspräsidenten nachträglich wieder aufgehoben werden. Die Zerstörung der Demokratie nahm ihren Lauf.
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