Unterhaltungsliteratur im Nationalsozialismus – Teil 1: Stellenwert der Unterhaltungsliteratur

„Wir sangen Lieder ohne Politik (…) Was so harmlos ist, dass Zweifel in mir sind, ob nicht heimlich doch ein gemeiner Sinn drin steckt.“

„Ich sagte mir, wenn ein Wälzer (…) 1930 erschienen, es auf 350 000 Exemplare gebracht hat, dann müsse er irgendwie charakteristisch für das Denken seiner Zeit sein.“ Dies schrieb der deutsche jüdische Philologe Victor Klemperer in seinen Tagebuchaufzeichnungen, in denen er seine Lektüreeindrücke während der Zeit des Nationalsozialismus festhielt. Nach dem Krieg veröffentlichte er sie unter dem Titel „LTI“ – Lingua Tertii Imperii.

Die Unterhaltungsliteratur im Nationalsozialismus war nach 1945 nicht unbedingt ein beliebtes Forschungsthema. In der Germanistik befasste man sich mit verbotener Literatur, mit innerer Emigration der Schriftsteller von Höhenkamm-Literatur. In den Geschichtswissenschaften spielten die Verbrechen und Opfer des NS-Regimes eine große Rolle – wo blieb bei all dieser Barbarei noch Platz für die Bestseller des Nationalsozialismus, für populäre Sachbücher und Unterhaltungsromane?

Unpolitische und leichte Lektüre: Affirmativ aufgrund ihrer Trivialität

Nur ein Viertel der im Nationalsozialismus erscheinenden Unterhaltungsliteratur kann als genuin nationalsozialistisch bezeichnet werden. Die unpolitischen Unterhaltungsromane waren viel verbreiteter. Spätestens mit Kriegsbeginn waren die Propaganda-Schriften gar nicht mehr gefragt: Ihre hohen Auflagen erklären sich aus den Massenausgaben für NSDAP-Organisationen und Wehrmacht – sie waren künstliche Bestseller.

„Wir sangen Lieder ohne Politik (…) Was so harmlos ist, dass Zweifel in mir sind, ob nicht heimlich doch ein gemeiner Sinn drin steckt.“ So die Hauptfigur in Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“. Tatsächlich war das Ziel von Joseph Goebbels, die Bevölkerung durch unpolitische, leichte Literatur einzulullen, wohl erfolgsversprechender als die Publikation von ideologiegetränkten Kampfschriften – gerade in Zeiten des Kriegs, in denen materielle Entbehrungen den Bedarf an leichter Lektüre erhöhten. Diese Strategie der unpolitischen Politisierung hatte Kalkül – 1941 kam der Vorschlag auf, billige unterhaltende Groschenromane zu publizieren, um „manches Gesetz stimmungsmäßig im Volk vorzubereiten.“

Goebbels Gegenspieler: Der NS-Ideologe Alfred Rosenberg

Im Kreis Goebbels anerkannte man den Warencharakter des Buches. Die zensurellen Maßnahmen waren in seiner Reichskulturkammer weniger ideologisch fundiert, als politisch und wirtschaftlich begründet. Zudem war für den Propagandaminister die unpolitische Unterhaltung essentiell für die Arbeitskraft und die Folgsamkeit der Deutschen:

Vor allem legen wir Wert darauf, die Unterhaltungsliteratur als solche zu pflegen. Denn wir waren der Überzeugung, je mehr ein Volk von den Sorgen des Alltags aufgefressen wird, um so mehr hat es Anspruch auf Entspannung und Erholung. (…) Ich muss mich aber in diesem Zusammenhang dagegenverwahren, dass Freude gleichbedeutend ist mit geistlosem Kitsch. (…) Wir haben die deutsche Literatur davor gerettet, dass sie nun in einem üblen stinkigen Treiben von Konjunkturhyänen versank. Unterhaltung braucht nicht immer mit der Schwere des Gedankens belastet zu sein, aber sie muss rein, sie muss frisch, sie muss gekonnt sein. Auch das reine Unterhaltungsbuch hat seine Berechtigung. (..) der entspannte Mensch arbeitet leichter und freudiger als der gespannte und verkrampfte Mensch.

Sein Gegenspieler Alfred Rosenberg sah dies anders – der verquaste NS-Ideologe war kein Freund der leichten Unterhaltung und der wirtschaftlichen Verwertung von vielversprechenden Publikumserfolgen aus diesem Segment, wenn sie nicht über die entsprechende „innere Qualität“ verfügten – die seiner Ansicht dem deutschen Volk angemessen sei. Kein Deutscher sollte anspruchslose Literatur konsumieren: „Wir brauchen Unterhaltungsliteratur für das gesunde Volk. Es kann nicht alles Dichtung sein. Es gibt viele Stufen des Schriftums, aber es muß unser Ehrgeiz sein, dass auch die unterste Stufe des Schriftums gesund und taktvoll ist“ forderte Rosenberg.

Die Debatte zwischen Goebbels und Rosenberg zeigt, wie uneinheitlich die Haltung der Nationalsozialisten zur Unterhaltungsliteratur war. Aus pragmatischen Gründen setzte sich Goebbels mit seiner Linie durch. Sein Ministerium war für die Literaturpolitik zuständig, und unter seiner Verantwortung wurden die zensurellen Praktiken der Nationalsozialisten erprobt.