Martin Amis: Koba der Schreckliche

Martin Amis ist im britischen Boulevard unter anderem aufgrund seiner schwierigen Beziehung zu seinem Vater, dem Schriftsteller Kingsley Amis, häufig in den Schlagzeilen. Vielleicht ist es für einen Leser aus Großbritannien deswegen nicht völlig unerklärlich, dass Amis selbst in einem Buch über Stalin und seine Herrschaft einen Brief an seinen – damals schon verstorbenen – Vater unterbringt. Dies ist nicht der einzige Abstecher in Amis‘ Familienverhältnisse und in sein persönliches Befinden. Aber wo es um einen der am grausamsten Diktatoren geht, ist Amis Selbstbespiegelung fehl am Platze.

Davon abgesehen, bietet die anekdotenreiche Zusammenfassung der stalinistischen Herrschaft in der Sowjetunion von der Oktoberrevolution 1917 bis zu Stalins Tod im Jahr 1953 zahlreiche spannende Randbemerkungen, die in wissenschaftlichen Abhandlungen derart exponiert nicht auftreten. So zum Beispiel die Namen der Hunde der exekutierten Zarenfamilie (Joy und Jemmy) oder die Beleidigung Stalins an Nadesha Krupskaja, der sie anscheinend eine „syphillistische Hure“ nannte. Lenin war wenig begesitert und verfasste sein politisches Testament, in dem er die Grobheit von Stalin anmahnte und die Genossen zu seiner Absetzung drängte. Bekanntermaßen verhallte dieser Wunsch ungehört. Ob allerdings Lenins letzter politischer Wille auf jene Beleidigung seiner Frau zurückging, derartige Belege vermeidet Amis tunlichst. Überprüfbar sind seine Behauptungen deswegen nicht. Gerade da Amis seine Kritik an der stalinistischen Herrschaft auf polemische Weise ausformt, wären Belege für seine Äußerungen angebracht.

Da Martin Amis kein Historiker, sondern Literat ist, ist  „Koba der Schreckliche“ für die wissenschaftliche Verwertung unbrauchbar, aber die literarisierte Studie über Stalins Wüten in der Sowjetunion ist ein Kaleidoskop der Eindrücke, die ein vielschichtiges Bild der stalinistischen Herrschaft zeichnen. Exponiert wird z.B. auch das Lagersystem behandelt; ein weiterer Nebenschauplatz ist die tragische Figur des Maxim Gorki, der 1936 aus seinem italienischen Exil in die Sowjetunion zurückkehrte. Bald darauf starb er, und Stalin benannte ein Lager nach ihm – nach Maxim Gorki, der vorher den Umgang mit den Häftlingen im Gulag angeprangert hatte. Eine weitere Anekdote, die so fiktiv klingt, als wäre sie aus einem Roman. Amis liebt den zerstörenden Effekt, den er auf den Mythos des stalinistischen Sozialismus anwendet; er erreicht ihn durch messerscharfe Pointen. Man kann aber nicht ausschließen, dass Amis der Effekt wichtiger ist, als die Wahrheit.

Martin Amis: Koba der Schreckliche. Die zwanzig Millionen und das Gelächter. Hanser 2007