Jüngers Roman “In Stahlgewittern” erschien 1935 erstmals in polnischer Übersetzung – nur wenige Jahre vor der Attacke der Deutschen auf das Land. Ein Rückblick auf seine wechselhafte Rezeptionsgeschichte
Der deutsche Schriftsteller Ernst Jünger ist umstritten, hierzulande und im Ausland. Ob er lediglich militärische Ideologeme aufgriff oder gar faschistische Literatur schrieb, darüber streiten sich seine Kritiker und Leser. Sein Frühwerk – darüber jedenfalls herrscht in der Forschung Einigkeit – ist antidemokratisch und nationalistisch, richtete sich gegen den Pluralismus der Weimarer Republik. Der damals rechtskonservative Schriftsteller veröffentlichte sein Kriegstagebuch “In Stahlgewittern” in Deutschland im Jahr 1920. In Polen findet dieses Werk erstmalige Erwähnung im Jahr 1929, als es im Zusammenhang mit verschiedenen literarischen Texten zum Ersten Weltkrieg – so beispielsweise mit Remarques “Im Westen nichts Neues” – erwähnt wird. Die Faszination für die literarische Darstellung von Kriegsgeschehen, die die Deutschen der Weimarer Republik zu diesem Zeitpunkt hegen, stößt auch in Polen auf große Resonanz.
1935 erscheint “In Stahlgewittern” als erste vollständige polnische Übersetzung von Jüngers Texten
“In Stahlgewittern”, so drückt der Oberstleutnant Roman Umiastowski es in der Militärfachzeitschrift „Infanterie-Rundschau“ aus, sei „das beste Kriegstagebuch Deutschlands.” Wenig später, im Jahr 1933, übersetzt er Teile des von ihm gelobten Buches, um diese in der Anthologie „Inmitten giftiger Nebel“ herauszugeben. Die eindringliche und nüchterne Darstellung des Krieges, der es an Sensibilität für das unmenschliche Geschehen stellenweise durchaus mangelt, die Freude, die der Protagonist an den Kriegshandlungen erlebt – das alles verleitet den polnischen Oberstleutnant Janusz Gatadyk zur Betonung des „pädagogischen Werts“ von Jüngers Kriegstagebuch. Er fertigt schließlich eine Übersetzung von „In Stahlgewittern“ an, die fortan bei der Ausbildung junger Soldaten als Lehrmittel verwendet werden wird. 1935 erscheint das Buch unter dem Titel “Fürst der Infanterie” als erste vollständige polnische Übersetzung eines Romans von Ernst Jünger in einem Militärverlag. 1938 erlebt die Ausgabe noch eine zweite Auflage.
Von Nietzsche über Jünger zum Nationalsozialismus
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges bricht die breite Jünger-Rezeption, wenig verwunderlich, ab, als sich die Wehrmacht – durch einen Teufelspakt mit Stalin flankiert – für einen Überfall auf Polen entscheidet und das Land unter deutsch-sowjetische Besatzung gerät. Ernst Jünger, der „Genüssling des Barbarismus“ (so Thomas Mann) wird fortan von der linksgerichteten Presse mit größter Skepsis betrachtet. Die Traditionslinie, die der polnische Historiker und Literaturkritiker Aleksander Rogalski in einem Artikel aus dem Jahr 1948 beschreibt, zeichnet einen direkten Weg von Nietzsche über Jünger zum Nationalsozialismus nach. Und Marcel Reich-Ranicki zählt Jünger zu den “führenden faschistischen Schriftstellern”, die als “Instrument der Remilitarisierung der Gesellschaft” dienen; er “bemüht sich, die Seelen des Lesers mit Gift des Chauvinismus und des Hasses zu vergiften.” Im Kalten Krieg muss die Rolle Ernst Jüngers als Personifikation der gescheiterten Bewältigung der deutschen Schuld herhalten, nicht nur in Deutschland. Beinahe hasserfüllte Pamphlete über ihn erscheinen in der marxistischen Literaturkritik. Man wirft ihm Eskapismus, Rechtslastigkeit, sogar „ästhetischer Frechheit“ vor.
Neuentdeckung Jüngers in den 1990er Jahren
Die Rezeption von Jünger in Polen verfügt zwar über eine bis in die 30er Jahre zurückgehende Tradition, die systematische Vermittlung seiner Texte setzte jedoch erst Mitte der 1980er Jahre Jahren ein. Als Meilenstein gilt die 1986 erschienene monographische Ausgabe zum Lebenswerk Ernst Jüngers in der polnischen Literaturzeitschrift „Literatur in der Welt“, in der die Herausgeber teilweise bis dato nicht übersetzte Essays, Interviews und Tagebucheinträge von und über Ernst Jünger publizierten. Hier erschien erstmals auch der vollständig übersetzte Kurzroman „Auf den Marmorklippen“, der in Deutschland bereits 1939 veröffentlicht wurde. In diesem hatte sich der der Autor mit den Herrschaftspraktiken des Nationalsozialismus und den Möglichkeiten des Widerstands auseinandergesetzt. In einem Essay von Lech Budrecki über Jünger, das ebenfalls in dieser Ausgabe der Literaturzeitschrift erscheint, heißt es abschließend: „Jüngers Jugend, und nicht nur seine Jugend, verlief im Wirrwar der Politik. Später bemühte er sich, sich aus dieser zurückzuziehen, und er zog sich tatsächlich zurück.“ Nicht nur die offiziellen Presseorgane Polens vollzogen einen solchen Wandel in der Bewertung Jüngers nach, auch die Emigrantenpresse und die polnische Untergrundpresse tat dies. Ein umfangreiches Fragment von „Strahlungen“ erschien im „drugi obieg“, dem „zweiten Umlauf“, wie die Polen ihre Form des Samsidat nannten. „Strahlungen“ verfasste Jünger zwischen 1941 und 1945. In diesem Tagebuch, das seine Zeit im besetzten Frankreich, aber auch einen Besuch an der Ostfront dokumentiert, schildert Ernst Jünger unter anderem die deutschen Kriegsverbrechen.
Sein 100. Geburtstag und der bald folgende Todestag im Jahr 1998 beförderten Texte über Ernst Jünger immer wieder auf die Agenda der Literaturzeitschriften und Verlagen. Zahlreiche Neuübersetzungen erschienen, auch „In Stahlgewittern“ wurde erneut übersetzt und in einer separaten Buchausgabe publiziert. Auch vor seinem Tod gilt Ernst Jünger in Polen noch als umstrittener Autor, doch die Zweifel an seiner literarischen Begabung finden sich in der öffentlichen Meinung nicht mehr. Das hängt möglicherweise auch mit dem Wandel des Schriftstellers zusammen. Während sein Frühwerk ideologisch noch der Konservativen Revolution oder sogar der Wegbereitung des Nationalsozialismus zugerechnet werden kann, veröffentlicht der alternde Schriftsteller Literatur, die sich gegen Totalitarismus und Anpassung richtet, experimentiert mit LSD, unternimmt zahlreiche Reisen, schreibt über diese.
Ernst Jünger als Autor der Konservativen Revolution
Doch eine Entpolitisierung seiner Bewertung findet kaum statt, eher eine Umwidmung. Als 1999 in Polen eine Anthologie zur „Konservativen Revolution in Deutschland 1918 – 1933“ erschien, wird dort der vollständige Text „Die totale Mobilmachung“ und ein Auszug aus „Die Arbeiter“ aufgenommen. Mit einer solchen Kategorisierung von Jünger als einem Schriftsteller der Konservativen Revolution kann er das Etikett des faschistischen Autors abstreifen. Aleksander Rogalski ist inzwischen zur Überzeugung gelangt, dass Jünger den Autoren der „inneren Emigration“ zuzurechnen sei. 2003 erscheint in Polen die Anthologie „Europa – Vorstellungen der deutschen Schriftsteller im 20. Jahrhundert“ – hier ist Jüngers Essay „Der Friede“ abgedruckt, ein Appell an den Frieden und den Sturz Hitlers.
Mit der Arbeit an diesem Text hatte Jünger bereits 1942 begonnen. Doch auch die Rechten betrachten Jüngers Werk weiterhin als Fundgrube. 2007 erschien in Polen eine umfangreiche Auswahl von Jüngers politischer Publizistik der zwanziger und dreißiger Jahre. In den letzten Jahren ist Ernst Jünger verstärkt in Zeitschriften der jungen polnischen Rechten an das interessierte Publikum herangetragen worden. Zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 1995 brachte die Stanzyc („Der Hofnarr“) sogar eine Sonderausgabe zu Leben und Werk Ernst Jüngers, auch in der konservativen Kulturzeitung „Fronda“ („Opposition“) oder der national und antiliberal ausgerichteten „Szcerbiec“ („Krönungsschwert“) ist der umstrittene Autor immer wieder Thema.
Das gegenwärtige Interesse an dem Autor, das sich auch in den zahlreichen Verweisen auf sein Werk von polnischen Gegenwartsschriftstellern (z.B. Marek Rymkiewicz „Kinderseelen“) spiegelt, lediglich mit einer Präferenz für nationalkonservative Ideologie zu erklären, unterschlägt die Polyvalenz und Vielfältigkeit seiner Texte, die außer dem immer wieder angemahntem Militarismus und faschistischen Ideologemen auch eine hohe ästhetische Qualität bieten sowie die Spannungen zwischen Moderne und Tradition in treffenden Bildern beschreiben.
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