Erich Kästner als Zeitzeuge: „Jemand muss doch dabei gewesen sein“

Die Bücherverbrennung im Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz.
Bundesarchiv, Bild 102-14597 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons
Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933, deutschlandweit im Radio übertragen, war von der Deutschen Studentenschaft mit akribischer Ordnung geplant worden. Die Verbrennungen, die an diesem Maitag in 21 deutschen Städten stattfanden, sollten den Aktionsmonat gegen den „undeutschen Geist“ abschließen, mit denen seit April programmatisch unliebsame Schriftsteller und Schriftstellerinnen eingeschüchtert worden waren. Der Schriftsteller Erich Kästner sah zu, wie die Nazis nicht nur seine eigenen Bücher verbrannten, sondern durch das Brandopfer an der Literatur sämtliche Ideale der liberalen Gesellschaft vernichteten.

Um einen planvollen Ablauf zu gewährleisten, verschickten die Organisatoren bereits vor dem Ereignis „Feuersprüche“ an die Studentenschaften, die während des schändlichen Rituals deklamiert wurden. Die zweite dieser nationalsozialistischen Folgerungen lautete:

Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!
Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.

Einer der in dieser regimetreuen Sentenz erwähnten Autoren war bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz selbst anwesend, und beobachtete, wie auch seine eigenen Bücher in den Flammen zerfielen: Es war Erich Kästner. Er sah zu, wie die zur Hilfe gerufenen Feuerwehrmänner die vorbereiteten Scheiterhaufen mit Benzin übergossen, da der strömende Regen – „Begräbniswetter“, wie sich Kästner erinnert – am späten Abend dieses Frühlingstags, wenige Monate nach der Hitler’schen „Machtergreifung“, zuerst die Entzündung der Bücher verhindert hatte.

„Jemand muss doch dabei gewesen sein“

Kästner verhielt sich ruhig dabei, beobachtete dieses von ihren Anhängern „Aktion wider den undeutschen Geist“ genannte Gebaren, den Fackelzug durch die gespenstische Nacht. Er hörte das Gegröle gegen die Literatur, betrachtete die SA-Scharen und Studenten, die die vorbereiteten „Feuersprüche“ deklamierten, und vielleicht ging ihm Heines Ausspruch durch den Kopf: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man bald auch Menschen“. Die brüllende Rede von Propagandaminister Goebbels („die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners“) lässt er gleichfalls über sich ergehen. „Es war widerlich“, erinnerte sich Kästner viele Jahre später.

Später antwortete er auf die Frage, warum er nicht – wie viele der Schriftsteller, deren Werke an diesem Tag den Flammen übergeben worden waren – Deutschland verlassen hätte: „Jemand muss doch dabei gewesen sein, um zu beschreiben, was sich in Berlin abgespielt hat.“ Doch nach dem 2. Weltkrieg kann Kästner nicht wieder an seine alten Erfolge anknüpfen. Seine literarisch innovativste Zeit, die 1927 mit dem Umzug von Leipzig nach Berlin begonnen hatte und die beispielsweise die Romane „Fabian“ oder „Emil und die Detektive“ hervorgebracht hatte, endete bei ihm genauso wie bei vielen anderen an den Umständen der Zeit zugrunde gegangenen deutschen Künstlern im Jahr 1933. In Deutschland erhielt Kästner alsbald ein Goebbelsches Publikationsverbot. Die Gestapo verhörte ihn mehrmals. Kästner publizierte fortan beim Schweizer Atrium-Verlag und schrieb leichte Unterhaltungsromane unter Pseudonymen, um Geld zu verdienen.

Flucht in die unpolitische Unterhaltungsindustrie

Seine eigenen Bücher werden in Deutschland nicht mehr verkauft, und nur gelegentlich sieht er im Ausland noch einen Beweis für seine schriftstellerische Existenz: „Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher nie mehr in den Regalen und Schaufenstern der Buchläden zu sehen. In keiner Stadt des Vaterlands. Nicht einmal in der Heimatstadt. Nicht einmal zu Weihnachten, wenn die Deutschen durch die verschneiten Straßen eilen, um Geschenke zu besorgen.“

Um Geld zu verdienen, schreibt Kästner nun für die Unterhaltungsindustrie. Massenware. Unter dem Pseudonym „Hans Albers“ verfasst er das Drehbuch von „Münchhausen“. Womöglich können seiner Autorenschaft noch einige weitere Drehbücher, Theaterstücke und Unterhaltungsromane dieser Zeit zugerechnet werden. Nachdem seine Wohnung 1944 völlig ausbrannte, dürften ohnehin dutzende Artikel, Gedichte und Manuskripte seinem Nachlass fehlen.

Dass er sehr an seiner Mutter hing, war für Kästner möglicherweise ebenfalls ein entscheidender Grund, nicht zu emigrieren und die kommenden zwölf Jahre in Berlin auszuharren. Erst 1945 reist er nach Tirol und wartet dort das Ende des Weltkriegs ab. „Er war ein Autor, der kein Kämpfer war.“ So beschrieb Marcel Reich-Ranicki den Schriftsteller, den er in der Nachkriegszeit noch persönlich kennengelernt hatte.