Berlin, 1929. Die Weltwirtschaftskrise steht bevor, Massenarbeitslosigkeit und Inflation sind bedrückende Last. Hete und Paul erwarten ein Kind; nachdem beide ihre Arbeit verlieren, beschließt Hete, das ungewollte Kind abzutreiben. Doch beim Arzt erhält sie nur eine Lektüre vom Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches. Bis zu fünf Jahre Gefängnis, mindestens sechs Monate Gefängnis würden ihr bevorstehen. Seit erbitterterten Debatten seit 1927 galt eine Ausnahme von diesen rigorosen Strafen nur, wenn ein medizinischer Grund für eine Abtreibung vorliege (und statt Zuchthaus wäre nun Gefängnis angesagt). Der Arzt hilft ihr nicht, also entscheidet sich Hete verzweifelt zur Selbsthilfe, nimmt Gift… So die Handlung des Stücks „Cyankali“ von Arzt und Dramatiker Friedrich Wolf, uraufgeführt in Berlin und anschließend in ganz Europa gespielt.
Im Februar 1931 wurde Wolf aufgrund Verstöße gegen den Abtreibungsparagraphen festgenommen. Auf Druck der Öffentlichkeit – es setzten sich unter anderem Bertold Brecht und Carl von Ossietzky für ihn ein – schnell wieder freigelassen. Bei dieser Gelegenheit auch verhaftet wurde die Ärztin Else Kienle, die ihre Patientinnen für eine erforderliche „Zweitbegutachtung“ immer wieder an Wolf vermittelt hatte, und umgekehrt. So konnten sie den Frauen eine Abtreibung aus medizinisch evaluierten Gründen ermöglichen.
Kienle setzte sich, wie Wolf und viele andere, ebenfalls für die Aufhebung des Paragraphen 218 ein und leitete eine Sexualberatungsstelle. Als einziges Mädchen an einer Jungenschule erlangte sie höhere Bildung, als das für Frauen durchaus noch nicht vorgesehen war; ihre Großmutter unterstützte sie dabei, sich anschließend gegen Vorbehalte der Eltern durchzusetzen und ein Medizinstudium zu beginnen. 1932 reist sie in die USA aus – und erwähnt ihr Engagement für die Abtreibung nie mehr. Das Klima der McCarthy-Ära reglementierte sie wohl dahingehend.
Wolf und Kienle waren keine Einzelkämpfer. Aktionen gegen den Paragraphen 218 gab es viele. Zum Beispiel auch das 1930 gegründete ‚Komitee für Selbstbezichtigung‘ unter dem Berliner Gynäkologen Heinrich Dehmel, das unter der Selbstaussage ‚Ich habe abgetrieben‘ und ‚Ich habe einer Frau geholfen‘ bei prominenten Ärzten und bekannten Frauen Unterschriften sammelte. Die Aktion war sehr erfolgreich, die Liste der Unterzeichner illuster: Albert Einstein war dabei, Thea von Harbou, Lion Feuchtwanger.
Doch bekanntermaßen vergeblich: Bis zum Ende der Weimarer Republik wurde der aus dem Kaiserreich stammende Abtreibungsparagraph nicht grundlegend reformiert, bis dahin wird es noch bis weit in die Nachkriegszeit dauern. Hunderttausende Frauen mussten, wie in Wolfs Theaterstück „Cyankali“, auf medizinische Hilfe verzichten und zu gefährlichen, nicht selten tödlichen, Methoden greifen, wenn sie eine Schwangerschaft abbrechen wollten.