Vladimir Nabokov wollte nicht einmal nach Berlin. Nachdem seine Familie im Zuge der Oktoberrevolution aus Russland geflüchtet war, schrieb er sich zunächst für Naturwissenschaften und englische und französische Literatur in Cambridge ein.
Dabei war das Berlin der zwanziger Jahre für die krisengeschüttelten Russen durchaus ein verheißungsvoller Ort, und wurde für viele nach der Oktoberrevolution zur Wahlheimat. In den zwanziger Jahren lebten in Berlin um die 360 000 russische Emigranten, die meisten in den Stadtteilen Zehlendorf, Grunewald und Charlottenburg – damals scherzhaft auch „Charlottengrad“ genannt. Die russische Community trug viel zum kulturellen Leben bei: zum Beispiel gab es neben zahllosen russischen Buchhandlungen, Restaurants, Cafés 86 russische Verlage im „Russkij Berlin“, in der „Stiefmutter der russischen Städte“ wie Wladislaw Chodassewitsch in Anspielung auf die mittelalterliche Nestorchronik es umschrieb.
Nach dem Attentat auf seinen Vater kam Nabokov nach Berlin
Auch Nabokovs Familie hatte sich in Berlin eingelebt, während Vladimir selbst in London studierte. Nach einem Attentat mit tödlichem Ausgang auf Nabokovs Vater – in Russland war er Mitglied der Provisorischen Regierung gewesen, die nach der Februarrevolution das zaristische Russland regieren sollte – entschloss der Student sich, in Berlin zu bleiben. Er als großer Bruder und ältester Sohn fühlt sich für die Familie verantwortlich, er möchte seine Mutter unterstützen. Er lernt in Berlin seine Frau Vera kennen und heiratet sie 1925. Vera wird für den Rest seines Lebens Nabokovs Gefährtin bleiben.
„Wie die romantischen Namen guter Weine und schlechter Frauen“
Von 1923 bis 1937 lebt Nabokov in Berlin. Doch der Schriftsteller sprach nicht besonders gut deutsch. Er schreibt in Berlin auf russisch – insgesamt sieben Romane, ein Theaterstück und zahllose Erzählungen. Unter dem Pseudonym „Sirin“ veröffentlicht Nabokov in Berlin mehrere Romane in russischer Sprache und erwirbt sich den Ruf eines guten Stilisten. In seinem zweiten Roman „König Dame Bube“ heißt es über Berlin:
„Berlin! Schon in dem Namen der noch unbekannten Hauptstadt, im Gerumpel und Geratter der ersten Silbe und im leichten Klingen der zweiten war etwas, das ihn erregte wie die romantischen Namen guter Weine und schlechter Frauen. Schon schien der Schnellzug die berüchtigte Prachtstraße entlangzubraußen, die für ihn mit riesigen uralten Linden gesäumt war, unter denen für ihn eine farbenfrohe Menge brodelte.“
Doch diese Lobpreisungen haben Kalkül: Nabokov erhofft sich, dass ein deutscher Verlag sich seines Romans annimmt. Beim Ullstein Verlag kommt der Text gut an und erscheint dort in deutscher Übersetzung. Das Honorar kommt Nabokov gelegen; mit der Oktoberrevolution war das Vermögen seiner Kindheit abhanden gekommen, und der Literat musste sich als Filmkomparse verdingen, wenn Übersetzungstätigkeiten und Privatunterricht – in Tennis, Boxen, Englisch und Russisch – nicht genug Geld abwarfen. Zuvor war der Roman bereits im russischen Original im Exilantenverlag „Slovo“ erschienen.
Berlin bleibt ihm fremd
Nabokov schreibt in seiner Berliner Zeit auch eine Erzählung mit dem Titel „Berlin, ein Stadtführer“. Doch wer hier die Insiderinformationen eines Berlinkenners erwartet, wird enttäuscht; vielmehr handelt die Erzählung von „Röhren, Straßenbahnen und anderen wichtigen Dingen“, wie der Erzähler, der sich selbst als „miese[n] Stadtführer“ bezeichnet, dort salopp bemerkt. Die Beziehung Nabokovs zu Berlin ist rätselhaft; warum er erst 1937 emigrierte, das fragen sich die Biographen bis heute. Denn eigentlich konnte er die Stadt und seine Bewohner nicht besonders gut leiden.
Die Gestapo beauftragte zwei russische Faschisten, die Berliner Exilrussen zu beobachten – es sind dieselben Männer, die Nabokovs Vater ermordeten. Das ist für die Nabokovs endgültige Aufforderung zur Emigration, zumal Vera Jüdin war. 1937 flieht die kleine Familie nach Paris, und von dort aus wiederum in die USA. Erst dort gelangt Nabokov zu Weltruhm – 1955 erscheint sein Roman „Lolita“.
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