An dessen 60. Geburtstag nimmt Adolf Hitler den skandalumwitterten Bestsellerautor Hanns Heinz Ewers per Handschlag in die NSDAP auf. Bei dieser Begegnung im Jahr 1931 – die NSDAP konnte zu diesem Zeitpunkt eine Reihe von Wahlerfolgen feiern, sich sogar in mehreren Bundesländern bereits an der Regierung beteiligen – macht der Schriftsteller dem Diktator den Vorschlag, ein Buch über Horst Wessel zu schreiben und so einen Märtyr der Nationalsozialisten literarisch auszugestalten.
Ewers war zu diesem Zeitpunkt im Jahr 1931 nicht zum ersten Mal bei der Suche seines Sujets in der faschistischen Szene unterwegs. Bereits 1923 begann er mit seinen Recherchen für den Roman „Reiter in der deutschen Nacht“, der 1930 erschienen war. Kritisiert wurde dieser Roman von der NSDAP dennoch, und 1937 entschieden sich die Verantwortlichen für eine Neuauflage; Goebbels selbst hatte schon 1934 das Horst Wessel Buch wieder verbieten lassen: Anders als verlangt, hatte Ewers keine antisemitische Hetze in dem Propagandaroman über Horst Wessel – den Ewers wahrscheinlich persönlich kannte – untergebracht. Ohnehin kommt man nicht umhin, sich zu fragen, was der vielgereiste und skandalumwitterte Ewers, einst mit dem von Rechtsextremisten ermordeten Walter Rathenau befreundet, bei den Biedermännern der nationalsozialistischen Revolution suchte. Tatsächlich war das Verhältnis des Bestseller-Autors zur NSDAP zumindest ambivalent.
Skandalumwitterter Bestsellerautors des Kaiserreichs
Bei den Bücherverbrennungen zu Beginn des nationalsozialistischen Regimes war Ewers nicht übergangen worden; sein Bestseller „Alraune“, der bereits 1919 eine Auflage von 200.000 Stück erhalten hatte, wurde bereits 1933 mit einigen anderen Texten von ihm verboten – ein Publikationsverbot aus dem Jahr 1935 kann Ewers jedoch nach persönlicher Vorsprache bei Goebbels aufweichen. Beim Röhm-Putsch stand Ewers Name auf der Todesliste, aber er wird rechtzeitig gewarnt. Privat schreibt er satirische Texte über das NS-Regime („Garten der Rassenschande“), hilft jüdischen Verfolgten. Das Ende des 2. Weltkriegs erlebt Ewers nicht mehr – er stirbt bereits 1943.
Bereits vor 1933 war Ewers zu den populärsten Schriftstellern des Wilhelminischen Kaiserreichs und der nachfolgenden Weimarer Republik geworden. Geboren 1871 in eine Düsseldorfer Künstlerfamilie – der Vater Schriftsteller, die Mutter Malerin – beschließt der Jurastudent mit 24, Schriftsteller zu werden. Es dauert nur vier Jahre, bis er erstmals wegen der „Verbreitung unzüchtiger Schriften“ angeklagt wird. Die Kritik bezeichnet ihn als „pervers und zersetzend“; er sei nichts weiter als ein „modischer Reißer aus dem Milieu des dekadenten Berliner Westen.“ Einen Namen macht er sich beispielsweise durch seine Mitarbeit am ersten Autorenfilm „Der Student von Prag“ oder durch seinen frühen Roman „Der Zauberlehrling“, der im „literarischen Echo“ im Jahr 1910 wie folgt besprochen wird:
Wenn andere so stolz sind auf das Himmlische, das in uns ist, hebt Ewers mit brutaler Geste die Vorhänge von unseren verborgensten Häßlichkeiten und Satanismen, und er zeigt, daß der Mensch eine Verruchtheit erreichen kann, die in allen Farben schillert.
Duellaufforderung bei spiritistischen Sitzungen
Die letzten Verbindungen zum bürgerlichen Leben hat Ewers bereits mit seiner Entlassung aus dem Staatsdienst abgebrochen; in spiritistischen Sitzungen, bei denen Ewers das Medium mimte, sich aber nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit an den okkulten Praktiken beteiligte, lässt er sich in ein Duell verwickeln, welches mit vier Wochen Festungshaft bestraft wird. Als Beamter kann er mit diesem Hintergrund nicht mehr tätig sein.
Aber lieber reist der illustre Schriftsteller, dessen uneheliche Tochter seine Mutter in ein Pflegeheim gegeben hat, ohnehin durch die Welt: nach Mittelamerika, in die Karibik, über Australien nach Ostasien…eine Tigerjagd in Kolumbien, Voodoo-Rituale in Haiti, all diese Erlebnisse geben ihm genug Stoff zum Schreiben. Weitere Einnahmen generiert er durch Vorträge mit Dia-Shows über seine abenteuerlichen Reisen; mit der Schifffahrtslinie Hapag reist er kostenlos, im Gegenzug erwähnt er sich immer wieder positiv in seinen Texten. Content-Marketing im Kaiserreich. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, befindet Ewers sich in New York. Wegen seiner Arbeit für den deutschen Geheimdienst muss er schließlich ein Jahr im US-Fort Oglethorpe verbringen; nach absolvierter Strafe kehrt er nach Deutschland zurück.
Trivial, pornographisch, faschistisch?
Weiterhin schreibt er, inzwischen auch populärwissenschaftliche Bücher. In einem Brief an einen Freund heißt es über seine Produktivität, über die Vorwürfe der Kritik, dass seine Texte trivial bis pornographisch seien, und sein Einkommen – offenbar eher prekär:
ja um gotteswillen, wo ist denn die sensation? auf was soll ich denn speculiert haben? Ich bin mit einer reihe von schriftstellern gut bekannt, ich weiß gut, was sie mit ihren unterhaltungsromanen verdienen – bis über 100.000 im jahre! und ich – mit meiner sensation – bin nicht imstand auch nur den zehnten teil von dem, was ich zum leben brauche (und das ist wenig genug) mit meiner kunst zu verdienen! ich schreibe kinderbücher, bilderbücher, unendlich viele übersetzungen und allen möglichen dreck – davon lebe ich!
Der einzige Preis, den Ewers in seinem Leben erhält, wird ihm in einem Schönheitswettbewerb für Männer zugeeignet. Auf literarische Auszeichnungen konnte der heute weitgehend vergessene Bestseller-Autor des Kaiserreichs Zeit seines Lebens nicht hoffen.