Als Franz Kirsch und seine Komplizen in der Nacht auf den 4. September 1920 ihren Tatort verließen, umfasste ihre Beute gerade einmal eine Summe von 1200 Mark. Zudem entwendeten sie aus dem Büro eine Schreibmaschine. Und mehrere Dosen Milch. Überflüssig zu erwähnen, dass sie nicht wegen dieser Kinkerlitzchen eine lange Zeit in das Ausbaldowern des Büros, in die Planung des Verbrechens, in das Anheuern eines Ensemble von gewieften Experten investiert hatten. Doch umsonst: Der Geldschrank widerstand sämtlichen Versuchen, ihn zu knacken, ihn aufzuhebeln, oder mit Hilfe eines Schneidbrenners die in ihm liegenden Kostbarkeiten freizulegen.
Franz Kirsch und seine Truppe war zu diesem Zeitpunkt nicht allzu geübt im Umgang mit dem Schneidbrenner. Dass man dieses Werkzeug zum Öffnen der Tresore überhaupt benötigte, verdankten die Verbrecher den inzwischen stabiler gefertigten Geldschränken, durch die die Vermögenden ihre alten Tresore ersetzten. Vorbei waren die Zeiten, in denen man die dünne Tresorwand zunächst mit einem Drehbohrer perforierte, die Bruchstellen mit einem Brecheisen erweiterte, und schließlich mit einem Werkzeug, das wie ein großer Dosenöffner aussah, die Schrankwand einfach aushebeln konnte.
Panzerknacken als Handwerk
Zum Öffnen eines Tresors benötigten die Panzerknacker inzwischen neben der notwendigen kriminellen Energie auch Organisationstalent – immerhin mussten die teuren Utensilien wie Schneidbrenner und dazugehörige Sauerstoff-Flaschen beschafft und mitten in der Nacht zum Tatort transportiert werden – sowie eine gewisse handwerkliche Findigkeit. Nicht ohne Stolz erinnert sich ein Insider:
Das theoretische Studium erstreckt sich auf den Geldschrank und das Angriffswerkzeug. Ich selbst habe eine kleine technisch-wissenschaftliche Bibliothek und immer neues, umfangreiches Katalogmaterial zu Rate gezogen. Aber: allein Übung macht den Meister.
Die Kompetenz, mit der die Geldschrankknacker an ihr Werk ging, ihre Aufsehen erregende Coups – sei es der Einbruch im Bezirksamt Tempelhof, oder in die Tresoranlage der Disconto-Bank am Wittenbergplatz im Jahr 1929* – faszinierte die Öffentlichkeit genauso wie der mondäne Lebensstil, den die Sore, wie die Ganoven die Diebesbeute nannte, den geschickten Panzerknacken ermöglichte. Es ist die Rede von „unerhört hohen Zechen“, von teuren Escortdamen, von exklusiven Lokalen. Die „Elite des Verbrechertums“, die „Aristokraten der Verbrecherwelt“ – so beschrieben Kriminalpolizei und Journalisten Anfang des 20. Jahrhunderts die Geldschrankknacker und verklärten vor lauter Faszination die Lebensverhältnisse dieser Außenseiter der Gesellschaft.
Trotz dass nicht jeder Einbruch erfolgreich verlief, Franz Kirsch kam in seiner Laufbahn zu einem Vermögen von über 200 000 Mark. Gefasst wurde er am Ende doch. Der ehemalige Hafenarbeiter, von dem die Ermittlungsakten der Hamburger Staatsanwaltschaft berichten, musste bereits ab 1909 er eine zehnjährige Strafe im Zuchthaus absetzen: Er hatte die Landeshauptkasse von Dessau geplündert. 1919 freigelassen, scharte er wieder eine Truppe von Handlangern um sich, und führte bis 1922 etwa 60 Geldschrank-Einbrüche durch. Das jedenfalls nahm die Polizei an, denn Kirsch gestand nur die Hälfte jener Fälle.
Die Berliner Szene agierte im ganzen Reich
Die deutschen Geldschrankknacker leben laut Erkenntnissen der Kripo vorwiegend in Berlin-Wedding, agierten jedoch im ganzen Reichsgebiet. Man ging davon aus, dass die Berliner Szene für den größten Teil der Geldschrank-Delikte im deutschen Reich verantwortlich war. Erfuhr jemand aus der Szene von einem Geldschrank, dessen Bruch sich lohnte, so warb er einige Komplizen an. Im Milieu gab es genug Verbrecher, die sich auf die Profession des Geldschranköffnens spezialisiert hatten – und nur dieser besonderen Seite der Kriminalität zugewandt waren. Sie trafen sich in zwielichtigen Kaschemmen, die oft eher kleinbürgerlich-proletarisch als obskur wirkten, um ihre Projekte zu planen. Auch Neulinge – die sich freilich erst in Handlangertätigkeiten für größeres qualifizieren mussten – kamen hier zu den gewünschten Kontakten.
Bei der Planung einer Tat war einiges zu bedenken. In den Tagen vor der Lohnzahlung beispielsweise war der Geldschrank besonders gut gefüllt, deswegen ermittelten Kundschafter die internen Abläufe in einem Unternehmen. Die Anreise – anonym mit dem Zug. Abreise direkt nach der Tat. Waffengebrauch und Gewalt waren bei Einbrüchen zunächst tabu, das änderte sich nach dem 1. Weltkrieg. Als Beute nahm eine Bande nur das Bargeld aus dem zerstörten Tresor mit; Wertpapiere und Schmuck verschafften nur Scherereien und konnte Hinweise auf die Tat hinterlassen. Überhaupt achteten die Berufsdelinquenten sorgfältig darauf, sich nicht durch Fingerabdrücke oder andere Beweisstücke zu verraten. Moralische Bedenken hatten sie bei ihren Operationen nicht:
So ein Juwelier kauft eine Kette für 5000 Mark, legt sie ins Fenster und verkauft sie nach ein paar Tagen für 10 000 Mark. Ist das dann kein Betrug? Das ins Fenster legen ist jedenfalls einfacher als das aus dem Fenster herausholen.
Mit dem Selbstbewusstsein, das Recht auf ein würdiges, ein gleichberechtigtes Leben zu fordern und einer damit verbundenen Kritik an der herrschenden Ungerechtigkeit einer gespaltenen Gesellschaft war den Geldschrankknackern die Sympathie von großen Teilen der Öffentlichkeit sicher. Doch es wäre fernliegend, sie als verkappte Klassenkämpfer zu betrachten. Armut und existentielle Sorgen sowie der Ausschluss aus ehrenhafteren Betätigungsfeldern mögen ihren Teil zur Panzerknacker-Szene in der Weimarer Republik beigetragen haben.