Russische Emigration in die USA

Nicht auf dem Weg nach Amerika: Die russische Zarenfamilie. Bildnachweis: Von Bundesarchiv, Bild 183-1991-1101-502 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5348236

Nicht auf dem Weg nach Amerika: Die russische Zarenfamilie. Bildnachweis: Von Bundesarchiv, Bild 183-1991-1101-502 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5348236

 

Der erste Russe, der Amerika betrat, war ein Däne. Vitus Bering, ehrfürchtig „Kolumbus des Zaren“ genannt, entdeckte im Sommer 1741 mit seiner Truppe – Soldaten der russischen Marine, die er im Dienst des russischen Zarenreiches befehligte – die St. Lawrence Insel. Diese heute zum US-Bundesstaat Alaska gehörende Insel ist von der östlichen Spitze Russlands gerade einmal 100 km entfernt.

Eine ideale Gegend also für eine russische Kolonie. Kodiak Island wurde wenig später von Russen besiedelt – genauso wie die umherliegenden Inseln, die alsbald russisch bevölkert wurden. Diese Inseln waren nicht nur geographisch nicht allzu weit von der Heimat entfernt, sondern auch ein idealer Standort für den Pelzhandel, den die Russisch-Amerikanische Gesellschaft seit 1799 verwaltete. Alsbald stellte sich heraus, dass dabei zu wenig Gewinn abfiel, und für eine Summe von sieben Millionen Dollar verkaufte die russische Delegation ihre Besitztümer auf den Inseln an die US-Vertreter. Damit ist die Geschichte des russischen Lebens in Russland aber gerade erst an ihrem Anfang.

Mit dem Umzug des Bischofs der russisch-orthodoxen Gemeinde in Sitka (Alaska) nach San Francisco im Jahr 1872 sowie der Gründung einer russischsprachigen Zeitung dort bildete sich in dieser Stadt eine lebhafte russische Community heraus; auch in Los Angeles, Detroit, New York und vielen weiteren Städten baute sich eine russische Infrastruktur auf. Dass darüber heute wenig bekannt ist, liegt nicht nur an der vergleichsweise niedrigen Zahl der russischen Einwanderer in die USA; vielmehr gelangten auch nach der Revolution kaum Intellektuelle und Künstler nach Russland – sie zogen Städte wie Paris oder Berlin vor. Die meisten der russischen Emigranten in die USA waren vor dem Ausbruch der Revolution ledige Männer ohne Ausbildung, die sich zumeist im Bergbau verdingten.

Der 1872 auf russische Initiative gegründete „Russische Kreis zur gegenseitigen Hilfeleistung“ sollte die Russen in dieser neuen, fremden Heimat unterstützen. Seit 1918 schlossen sich 40 derartige Organisationen in einen Verbund zusammen – 15 000 Mitglieder veranstalteten regelmäßige Konferenzen zur Lage der Russen in den USA. Klagen über mangelhafte intellektuelle und künstlerische Sichtbarkeit der russischen Community gab es dennoch.

„God damn‘ bolsheviki“ war die Botschaft der Amerikaner

1917 verschlechterten sich die außenpolitischen Beziehungen zwischen den USA und Russland massiv; ein Handelsembargo mochte die Emigranten weniger stören, doch die Unterbrechung der telegraphischen und postalischen Wege in die alte Heimat doch. Auch die russische Emigrantenpresse sah sich fortan in die Rolle einer „bolschewistischen Gefahr“ gedrängt.

In den 1920er Jahren brachte die russische Zeitung „Novoe Russkoe Slovo“ – seit 1910 schien ihr Vorgänger „Russkoe Slovo“, womit das Blatt zu den ältesten russischen Emigrantenzeitungen gehört – die Haltung der Amerikaner zu den eingewanderten Russen mit der Rede von den „God damn bosheviki“ auf den Punkt. Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass diese Zeitung ihrerseits nicht unbedingt US-freundlich war.

Ein russischer Wissenschaftler dagegen hat in seiner 1967 in Buenos Aires erschienenen Studie über die russische Einwanderung in die USA eine ganz eigene Erklärung für die russische Haltung zu den USA:

Die Russen schätzen Amerika nicht sehr. Dies lag zum Teil daran, daß sie das Land nicht verstanden. Die Russen, die gerne tranken und in Kneipen saßen, waren wegen des Prohibitionsgesetzes (…) gegen die Vereinigten Staaten eingestellt, versuchten auf alle mögliche Weise, das Gesetz zu umgehen, und stellten selbstgebrannten Alkohol her, der sie schwächte und erblinden ließ.

Dennoch stimmte es, die Amerikaner hatten ihre Probleme mit den Russen: Seit Februar 1917 mussten Einwanderer in die USA einen Test absolvieren, seit 1921 wurden in einem Quotengesetz die Anzahl der russischen Emigranten pro Jahr gedeckelt, 1923 verschärfte man dieses Gesetz noch. Die Flüchtlinge vor der russischen Revolution waren äußerst gebildete Menschen, viele Intellektuelle, es gab Politiker unter ihnen, Wohlhabende. Während im Jahr 1915 noch fast 30.000 Russen in die USA einwanderten, waren es im Jahr 1918 nur noch 4282. Mit über 21000 russischen Einwanderern im Jahr 1923 war der Rekord erreicht. Insgesamt waren wohl eine Million Russen aufgrund der politischen Entwicklungen in ihrer Heimat seit 1917 auf der Flucht; 100 000 Russen kamen zwischen 1918 und 1930 in Amerika an. Und nur wer sich assimilierte, sich nicht als Russe zu erkennen gab, wurde akzeptiert.

Literatur: Thomas R. Beyer Jr.: Russen in der Neuen Welt. In: Der große Exodus. Die russische Emigration und ihre Zentren 1917 – 1941. München 1994.